1. Juni 2013

„der junge mann, der hier so adrett seine melone lüpft, ist der 33-jährige lou reed. soeben hat er mit „coney island baby“ seine vorerst letzte platte für rca records vorgelegt. sie dürfte dem einen oder anderen zumindest optisch bekannt vorkommen, denn in deutschen fachläden für second-hand schallplatten ist die 1975er vinyl doch vergleichsweise häufig aufzustöbern. ein indiz dafür, dass die halbwertszeit des albums begrenzt ist? mitnichten. der autor vermutet eher kurzfristige geldnot der verkaufenden ex-besitzer und -besitzerinnen oder den vorschnellen umstieg auf das verheißungsvolle cd-format. zugegeben, unter den ersten platten in reeds solo-karriere ragt „coney island baby“ nicht als ambitioniertestes werk heraus – hier sind eher „berlin“ oder der avantgardistische, ausschließlich aus gitarren-rückkoppelungen bestehende label-schocker „metal machine music“ zu nennen. doch das rennen um die entspannteste pop-platte dürfte es machen. lou reed zieht hier im übertragenden sinne das musikalische anschluss-ticket an sein selbstbetiteltes solo-debüt oder velvet undergrounds letzte großtat „loaded“. daher auch kein zufall, dass hier mit „she’s my best friend“ noch einmal ein stück aus der vergangenen band-karriere neu aufbereitet wird. selbst blutrausch-fantasien (in „kicks“) werden auf „coney island baby“ vom federnden blues-rock eingefangen. dass der platte letztlich kein anschein beliebiger radio-dudelei anhaftet, ergibt sich aus eben diesem antagonismus von gefälliger – dabei nicht minder dynamischer – instrumentierung und reeds gewohnt gebrochenen texten (bevorzugtes wort: „now“, bevorzugtes thema: frauen verschiedenen charakters). wer lou reed demnächst wieder einmal den hut ziehen sieht, sollte eventuell kurzerhand zugreifen – die remasterte cd-ausgabe, die unter anderem eine alternative version von „crazy feeling“ bietet, bei der reed ganz offensichtlich von halsschmerzen gepeinigt wurde, ist nach ansicht des autors weniger knisternd. nur auf der lp kommt das beste auch wirklich zum schluss.“
16. Mai 2013

„vor zwei monaten verstarb jason molina, kopf der country-rock formationen songs: ohia und magnolia electric co., im alter von 39 jahren an den folgen von langjährigem alkoholmissbrauch. dass der sehr produktive ausnahmekünstler großen einfluss auf die musikwelt genommen hat, zeigen zahlreiche tribut-aufnahmen. nicht nur die wave pictures und auf deren anstoß hin eine ganze reihe von künstlern, sondern darüber hinaus auch bands aus texas und london haben mittlerweile cover-versionen eingespielt. wer die cds oder mp3-alben erwirbt, unterstützt nicht nur den jason molina medical fund, durch den ausstehende medizinische behandlungskosten durch die angehörigen bezahlt werden sollen, sondern kann auch noch einmal einige highlights aus dem werk jason molinas revue passieren lassen: „hold on, magnolia, i hear that lonesome whistle whine – hold on, magnolia, i think it’s almost time…“
29. April 2013

„über die swinging blue jeans („you’re no good“, „hippy hippy shake“) liest man immer mal wieder, sie hätten nur „einen sommer lang geswingt“. das war 1964. ähnlich verhielt es sich mit jet vierzig jahre später, denn zahllose mädchen tanzten nur einen sommer zur musik der australier. die single „are you gonna be my girl“ von 2003 ragt jedenfalls auch zehn jahre nach ihrer entstehung und einem jahr nach auflösung der band noch deutlich aus ihrem schaffen heraus. es handelt sich um einen dieser nicht totzukriegenden partyhits der kategorie „smells like teen spirit“ oder „song 2“, der in jeder groß- und kleinstadt-diskothek, die indie und heavy in ihrem programm vermengt, auf schützenfesten, abifeiern und hochzeiten auch zukünftig rauf und runter gespielt werden wird. ein evergreen in a-dur, der den grundstein für den verkauf von mehreren millionen langspielplatten bildete. die rolling stones und ac/dc outeten sich passender weise als fans des debüt-albums „get born“, das sowohl nach „sweet virginia“ als auch nach „bad boy boogie“ klang. der nachfolger „shine on“ brachte eine prise mehr „don’t look back in anger“, allerdings auch ein bisschen weniger kommerziellen erfolg. den uninspirierten schlusspunkt bildete „shaka rock“, mit dem der retro-rock gaul letztlich totgeritten wurde. ein krachender nachfolger zur einstigen hit-single, der von einem in „rollover dj“ besungenen „musikautomat“ ebenfalls auf dauerrotation gesetzt werden könnte, entstand nicht mehr. die swinging blue jeans musizierten übrigens in wechselnden personellen konstellationen um ray ennis weiter bis 2010. etwas schneller ging der sommer für jet zu ende.“
12. Januar 2013

„cowbell, bestehend aus dem gitarristen jack sandham und der schlagzeugerin wednesday lyle, tun das unwahrscheinliche. sie wärmen das white stripes-konzept nach knapp 15 jahren ein weiteres mal auf. nachdem schon einige andere bands wie die black keys erfolgreich als garagen-rock duo für jüngeres publikum reüssierten, ist die frage berechtigt, wie viele epigonen jack und meg eigentlich noch vertragen. und warum berichtet oklahoma-od über jack und wednesday, fehlt ihnen doch scheinbar zum ganz großen glück eine farbe im bandnamen? klare antwort: weil sie die hits geschrieben haben. mindestens 8 von 10 stücken auf ihrem debüt „beat stampede“ besitzen durch oklahoma-od zertifiziertes hit-potential. von country-picking bei „all in good times“ über slide-gitarre beim opener „tallulah“, einem fetzigen honky-tonk piano (wednesday) bei „bills“ bis hin zu derbem geriffe bei „never satisfied“, einer der vormaligen singles auf dem album – in 27 minuten wird wirklich alles auf analoges tape gebannt, was laune macht und eindruck schindet. nicht nur die black keys heben den daumen, auch die bbc geriet ins schwärmen. in nicht einmal drei jahren geht es nun also für cowbell von 0 auf 100 – aus dem proberaum für die erste single „oh girl“ auf den blog von oklahoma-od. immens. alle berlinerinnen und berliner, die hipp genug sind, treiben sich ende märz im bassay club rum und hören mal live rein. uns restlichen provinznasen drück‘ ich die daumen für das ein oder andere gastspiel in der berliner peripherie.“
5. Juni 2012

„nach sechs dekaden hobo-dasein spielte seasick steve schließlich im jahr 2004 sein debüt-album ein. der wahleuropäer aus oakland sollte seinen endgültigen durchbruch dann spätestens in der 2006er silvester-show von jools holland mit seiner tour de force durch pracht-stücke wie „cut my wings“ und „dog house music“ feiern. seither lieben ihn nicht nur die engländer; und steven gene wold (so der name in seinem reisepass) ist so etwas wie ein moderner klassiker geworden. auf seinen unterbestückten gitarren – es „fehlen“ zumeist zwischen zwei und fünf saiten – brennt der seekranke storyteller unter verschleiß des verbliebenden materials wahre feuerwerke ab. so dass man dies beachtend fragen muss: woher kommt diese energie, die anderen künstlern in ihren besten jahren abgeht? offensichtlich liegt es an seinem noch immer währenden newcomer-status, der ihn noch nicht zur verwaltung seines erbes hat übergehen lassen. dass seasick steve auch ruhigere töne anschlagen kann, zeigt er mit dem großartigen „dark“, das wohl nicht ganz zufällig den ehrenvollen letzten platz auf dem zuletzt erschienenden best of album einnimmt. wenn youtube also auf der nächsten party mal wieder nichts mehr ausspuckt, sollte man eine platte des mittlerweile preisgekrönten blues-barden zur hand haben!“